Tag 8 Sonntag: Letzter Tag in Laayoune, wir treffen den Bildungs- und Kulturminister der Polisario und feiern Abschied
Unser letzter Tag im Flüchtlingslager Layyoune – Unsere Gastmutter Heidara ruft uns mit einem يا بانات يلا الفطور zum Frühstück. Wie jeden Morgen hat sie einen Teppich im Innenhof ausgebreitet, darauf einen kleinen Plastiktisch gestellt, auf dem das Frühstück für uns bereitsteht.
Es gibt Kaffee und heiße Milch, dazu frisch gebackenes Brot und den allgegenwärtigen Streichkäse „La vache qui rit“ - kein Frühstück ohne diese rote lachende Kuh.
Am Vormittag treffen wir uns mit dem Kultur- und Bildungsminister der Polisario in der neu eröffneten Bibliothek, der einen Vortrag hält und den hohen Einsatz sahrauischer Frauen im Bildungsbereich betont, sie würden ca. 90 Prozent der Beschäftigten ausmachen. Die Frauen seien es gewesen, die nach der Flucht aus dem Gebiet der Westsahara und der Gründung einer Exilregierung auf algerischem Boden, das Bildungswesen aufgebaut hätten. Während dieser Zeit befand sich der Großteil der sahrauischen Männer im Krieg gegen das marokkanische Militär, das 1975 die Grenze zur Westsahara überquert hatte, was zum Ausbruch eines bis 1991 anhaltenden bewaffneten Konflikt geführt hatte. Aufgrund des hohen Stellenwerts der Bildung und des Einsatzes der sahrauischen Frauen hätten die Sahrauis heute eine der höchsten Alphabetisierungsquote des afrikanischen Kontinents.
Trotz hoher Eigeninitiativen seien sie in den Camps enorm von ausländischer Hilfe abhängig, die aber bei weitem nicht ausreichen würde. Die finanzielle Unterstützung die sie vom UN-Hilfswerk und verschiedenen, vor allem spanischen NGO’s erhalten würden, decke weniger als 60 Prozent des Bedarfs im Bildungsbereich. Eine Lehrerin würde alle drei Monate ein Gehalt von 32 Dollar für ihre Lehrtätigkeit erhalten.
Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie seien die finanziellen Hilfen für die sahrauische Bevölkerung zurückgegangen, und viele Austauschprojekte und Ausbildungsprogramme zwischen der Polisario und anderen Ländern wurden aufgrund der Corona Einschränkungen ausgesetzt und oftmals nicht wiederaufgenommen.
Im Anschluss laufen wir zu einem nahegelegenen Garten. Es handelt sich um ein Projekt, das von Khadija Bedati ins Leben gerufen wurde. Es soll Anreize schaffen, die eigene Versorgung durch den Anbau von Kräutern und Gemüse zu verbessern. Schwer vorstellbar, dass in der kargen Wüstenregion überhaupt etwas wachsen kann, zumal sie zu einer der trockensten Regionen der Welt zählt, in der es über Monate oder gar Jahre kaum oder überhaupt nicht regnet.
Verwundert bin ich außerdem, als ich eine kleine Muschel auf dem ausgetrockneten Boden finde, welche ich hier nicht vermutet hätte. Vielleicht ein Fossil aus der Vergangenheit, welches darauf hindeutet, dass die Sahara vor 6.000 Jahren in weiten Bereichen eine grüne Steppe mit Flüssen und Seen war.
Wir bekommen frische Datteln und grünen Tee. Letzteren trinken die Sahrauis bei jeder Gelegenheit und die Zubereitung beinhaltet eine besondere Zeremonie. Eine Kanne mit Wasser, Teeblättern und Zucker wird auf glühende Holzkohle gesetzt und gekocht. Dann wird der fertige Tee in kleine Gläschen gegossen und mehrere Male in hohem Bogen von einem in das andere Glas und wieder zurück geschüttet, was ein erwünschtes Aufschäumen des Tees bewirkt. Sijia, die Teilnehmerin der Exkursion aus Frankfurt ist, erzählt uns, dass sie mit einer sahrauischen Frau über diese Teetradition gesprochen habe und dabei ein sahrauisches Sprichwort kennenlernen durfte:
Demnach heißt es:
„Der erste Tee ist so bitter wie das Leben. Der zweite Tee ist so süß wie die Liebe. Der dritte Tee ist so sanft wie der Tod.“
Am Nachmittag bietet sich für uns die Gelegenheit die Moschee „Masǧid al-Kitāb wa-s-Sunna“ zu besichtigen. Der Imam erzählt uns, dies sei die erste Moschee im Flüchtlingslager Layyoune, die 2001 erbaut wurde. Vor dem Bau der Moschee hätten sich die Gläubigen in einem einfachen Raum eines Privathauses versammelt. Wir dürfen den Gebetsraum betreten und er zeigt uns im Anschluss, die der Moschee angehörige Bibliothek, den Waschraum und die Madrasa, in der einige Kinder des Camps den Islamunterricht zusätzlich zur allgemeinen Schule besuchen. Er verabschiedet sich von uns und meint jeder sei in der Moschee willkommen, ob Juden, Christen oder Muslime, alle glauben an den einen Gott.
Abendessen und Verabschiedung
Als Verabschiedung kocht unsere Gastmutter für die ganze Exkursionsgruppe das Abendessen, welches hervorragend schmeckt. Später trifft unser Fahrer ein, der uns in einem Kleinbus zum Flughafen von Tindouf fahren wird, damit wir unseren nächtlichen Flug in die algerische Hauptstadt erreichen.
Wir verabschieden uns von unserer Gastfamilie. Wäre es bei einem Abschied nicht angebracht traurig, leicht wehmütig zu sein? Ja, ein Stück weit bin ich betrübt, dass unser Aufenthalt endet. Die Gastfamilie war sehr humorvoll und wir haben viel gelacht. Aber vor allem bin ich froh, das Camp zu verlassen, denn es ist kein Ort an dem ein Mensch leben sollte. Der Mangel an sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln, die schlechte medizinische Versorgung, die Arbeitslosigkeit – die Präsenz von Armut und Unrecht ist überall deutlich. Das Privileg nach Deutschland zurückzukehren, löst Erleichterung in mir aus, gleichzeitig ein Gefühl der Beschämung und Ohnmacht über die enormen Ungerechtigkeiten auf unserer Welt.
Als wir aufbrechen, sieht der Himmel nach Regen aus. Bereits seit einigen Tagen kam es hin und wieder zu Niederschlägen. Diese Menge an Regen gab es zuletzt im Jahr 2018.
Lucia Reichart