Institut für den Nahen und Mittleren Osten
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11. Medienworkshop "After the Internet - Television Today: Twenty Years of Al Jazeera"

29.06.2017 – 30.06.2017

bild mws11

 

 

Programm auf Deutsch

Programme in English

29./30. Juni 2017, Veterinärstr. 1, Raum 009

organisiert von Bettina Gräf und Amir Hamid


Nach formloser Anmeldung bis spätestens 16. Juni 2017 unter b.graef@lmu.de verschicken wir das Video-Material sowie die Lektüre.

 

Die Gründung des arabischsprachigen Satellitensenders Al Jazeera im Jahr 1996 veränderte die arabische Medienlandschaft nachhaltig. Der Workshop nimmt das zwanzigjährige Jubiläum des Satellitensenders im November 2016 zum Anlass, um erneut über die gesellschaftliche Rolle neuer Medien- und Kommunikationstechniken nachzudenken, wobei wir uns besonders für den dynamischen Zusammenhang von Medientechnologie und politischem Handeln interessieren.

Anhand von Sekundärliteratur zu cultural diplomacy, soft power und dem Phänomen Al Jazeera sowie Videomaterial zur Zwanzigjahrfeier in Doha werden wir uns im Workshop mit der Frage nach den (Un)Möglichkeiten von politischer Partizipation von unten („politics from below“) in Zeiten von kommunikationstechnischen Innovationen, immensen transnationalen Investitionen im Kommunikations- und Medienmarkt und ausgeklügelten staatlichen Kulturpolitiken beschäftigen.

Fernsehen ist nicht mehr dasselbe wie vor 25 Jahren (als sich gerade der erste private saudische Satellitensender und Medienkonzern MBC gründete) und auch nicht wie vor 50 Jahren (als die meisten terrestrischen staatlichen Sender in der Region eben gegründet worden waren). Al Jazeera stellt heute neben dem ersten transnationalen arabischsprachigen Nachrichtenkanal ein globales Medienunternehmen und Netzwerk dar, mit verschiedenen Sendern und populären Sendeformaten in unterschiedlichen Sprachen. Das Unternehmen pflegt darüber hinaus Webauftritte auf Arabisch und Englisch, die neben dem Livestream ins aktuelle TV-Programm auch eine Reihe von politischen Blogs beherbergen. Den Livestream abonnieren im Moment 1,4 Millionen Nutzer über den eigenen Kanal auf YouTube. Seit 2007 ist Al Jazeera auf Twitter, seit 2015 interagiert das Netzwerk nach eigenen Angaben mit 100 Millionen Nutzern am Tag auf Snapchat. Die unternehmerischen Aktivitäten in sogenannten sozialen Netzwerken garantieren hohe Werbeeinnahmen.

Dies ist die technische und ökonomische Seite.

Die politische Seite ist schwieriger zu fassen und ambivalent, zumal Ökonomie, Staat und Politik in neoliberalen Zeiten eng verflochten und nicht voneinander zu trennen sind. Ein Begriff wie „Lügenkanal“ (qanāt kāḏiba) in Kommentaren auf Twitter oder YouTube ist seit 2011 keine Seltenheit. Angetreten war der Sender 1996 offiziell mit dem Anspruch nicht nur eine staatlich verordnete Meinung, sondern eine Pluralität von politischen Meinungen (al-raʾy wa-l-raʾy al-āḫar) zu Wort kommen zu lassen. Schon damals stellte dies ein Meisterstück kreativer staatlicher Kulturpolitik und geschicktem Soft Power dar.

Was das Politische angeht, so konzentrieren wir uns im Workshop zum einen auf die Kultur- und Medienpolitik des Golfstaates Katar in verschiedenen Phasen. Zum anderen interessiert uns das kritische Potential, das durch den Sender freigesetzt wurde. Al Jazeera stellte zunächst eine Alternative zu hegemonialen Repräsentationen arabischer Politik auf BBC und CNN dar und ermöglichte eine höhere Sichtbarkeit vorhandener Vielfalt in der Region.

Seit den arabischen Revolutionen 2010, die der Nachrichtensender sicher begünstigt hatte, büßte das Medienunternehmen dieses Image jedoch ein. Die bekanntesten Vorwürfe lauten: einseitige Berichterstattung und klare politische Positionierung zugunsten der Muslimbrüder sowie Gleichgültigkeit gegenüber den schiitischen Aufständischen gegen das Regime in Bahrain.
Mit welchen neuen Strategien und medialen Formaten (z.B. Blogs und Videobotschaften) versucht Al Jazeera darauf zu reagieren, und sich als Stimme der arabischen Straße zu rehabilitieren? Hat der Wolf Al Jazeera sein Schafsfell abgeworfen und sein wahres machtpolitisches und strategisches Gesicht gezeigt? Welche anderen Interpretationen möglich sind, werden wir im Workshop erörtern.

 


Workshop-Lektüre

Hudson, Leila and Iskandar, Adel, „Publics, Imaginaries, Soft Power, and Epistemologies on the Eve of the Arab Spring“ in: Hudson, Leila, Adel Iskandar, Mimi Kirk (eds.) Media Evolution on the Eve of the Arab Spring, New York, London: Palgrave Macmillan, 2014, 1-12.
Salvatore, Armando, „Before (and after) the ´Arab Spring': From Connectedness to Mobilization in the Public Sphere“, Oriente Moderno, 91 (2011), 5–12.
Samuel-Azran, Tal, „Al-Jazeera, Qatar, and New Tactics in State-Sponsored Media Diplomacy“, American Behavioral Scientist, 57 (2013) 1293-1311.
Seib, Philip M., „New Media and Public Diplomacy in the New Arab World, in: Hudson, Leila, Adel Iskandar, Mimi Kirk (eds.) Media Evolution on the Eve of the Arab Spring, Palgrave Macmillan, 2014, 181-192.

Zusätzlich:

Kraidy, Marwan M., and Joe F. Khalil, Arab Television Industries, New York, London: Palgrave Macmillan, 2009.
Al-Rawi, Ahmed, „Assessing Public Sentiments and News Preferences on Al Jazeera and Al Arabiya“, International Communication Gazette, 79 (2016), 26-44.
Richter, Carola, and Asiem el Difraoui, „Transnationales Satellitenfernsehen: Bilder sprengen Grenzen“, in: dies. (eds.), Arabische Medien, Konstanz München: UVK Verlagsgesellschaft, 2015, 39-50.
Sakr, Naomi, Jakob Skovgaard-Petersen, and Donatella Della Ratta, eds., Arab Media Moguls, London, New York: Tauris, 2015.
Seib, Philip M., ed., Al Jazeera English: Global News in a Changing World, New York: Palgrave Macmillan, 2012.

 

Vorhergehende Medienworkshops

 

Bild: Logo der Sendung "Bi-lā ḥudūd" (Ohne Grenzen) auf Al Jazeera (Screenshot)


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