Institut für den Nahen und Mittleren Osten
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Studienreise nach Palästina 2018

Jerusalem - Ramallah - Bethlehem - Hebron

22.07.2018 – 05.08.2018

Zwei Wochen begaben sich Prof. Andreas Kaplony mit Dozenten und zehn Studierenden auf eine Reise in das Heilige Land. Bloß klassische Postkartenerlebnisse wie "das Essen und das Wetter waren hervorragend"? Von wegen. Über die Kontraste von Oben und Unten im palästinensischen Lebensgefühl und Alltag

Gibt es eine Gebrauchsanweisung für eine Reise in das Heilige Land? Ein absolutes Muss von Orten wie der Via Dolorosa der Christen, der Klagemauer der Juden oder dem Ḥaram der Muslime? Wagen wir dafür einen Blick nach oben, zeigen sich in den Einkaufsstraßen der jüdischen Neustadt von Jerusalem die farbenfrohsten Sonnenschirme, reihum über uns aufgefädelt zum Schutz gegen die Hitze am Mittag. Es ist früher Vormittag und die Geschäfte in der Passage haben noch geschlossen.

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Eine Woche später: Unser Blick geht erneut hinauf, diesmal in der Altstadt von Hebron. Da stehen wir unter einem Drahtgeflecht - es ist nicht bunt, aber teilweise mit Steinen und Müll bedeckt. Der darunter liegende Sūq ist kein Vergleich zu dem in Jerusalem, außer uns begegnen wir nur zu Beginn dieser Passage einigen geschäftigen Obst- und Gemüsehändlern. Wieso? Die Sorge vor Steinschlägen aus dem bergan liegenden israelischem Teil der Stadt ist einfach zu groß, das Netz schützt dabei nur bedingt, sagt Šādī Ṣidr.

Er lebt bereits seit mehreren Generationen in einer der Seitengassen des Sūqs, und weil der israelische Stadtteil bloß besagten Steinwurf entfernt ist, gestaltet sich der Alltag immer komplizierter: Mehrmals im Monat käme das israelische Militär ungebeten bei ihm zu Hause zu Besuch, klagt er. Nie begibt er sich weit weg, immer anrufbereit, wenn es zu Schwierigkeiten daheim kommt. Aber wir spüren beim Gespräch auf arabisch, dass er buchstäblich auf den Boden der Tatsachen blickt, dass er selbst im Alltag um seine vier Wände bangen muss.

Zurück in der Jerusalemer Altstadt. Dort sehen sich orthodoxe Juden aus Nah und Fern auf dem Boden der Tatsachen. Wir betrachten sie, wie sie vor der Klagemauer stehen. Hoch auf den Tempelberg dürfen sie nicht, ihnen bleibt zum Gebet nur dieser kleine Mauerstreifen, der den Südwesten der Anlage begrenzt, übrig. Wie so oft dank guter Kontakte unseres Professors dürfen wir hinauf. Für Muslime heißt der Berg ganz klar al-Ḥaram aš-Šarīf, "das edle Heiligtum". Unübertroffen die Architektur seiner zwei Moscheen: Eine Palette an kunstvoll gestalteten Wand- und Deckenmosaiken im Felsendom wechselt sich mit lebensgroßen Koraninschriften ab, die al-ʾAqṣā Moschee zeigt sich für uns vor allem wuchtig im Hauptschiff mit reich verzierten Glaspaneelen. Dass jeder unserer Schritte selbst ein erhabener sein muss, wird uns ansatzweise klar. Vor allem aber bewegen wir uns auf hochpolitischem, umkämpftem Terrain.

Der Beweis dafür sollte uns dann auch drei Tage später einholen: Es ist eben das muslimische Freitagsgebet, und wir gehen im Rahmen eines Wandertags dem Kedrontal entgegen, mit gutem Blick auf den Ḥaram. Plötzlich steigen dort in schneller Folge Rauchschwaden auf. Es knallt mehrmals dumpf in der Luft. Bei einer Klärung vor Ort raten die Einheimischen uns, über einen Umweg um die Altstadt sicher in unsere Unterkunft zu finden. Später finden wir von Mitreisenden heraus, dass die Spirale der Gewalt durch einen Einsatz von Rauch- und Lärmpatronen wieder gedreht wurde. Das Militär soll dafür verantwortlich gewesen sein, stimmen Augenzeugenberichte aus Lokalzeitungen und aus unserem Umfeld überein. Ohne Todesopfer oder Schwerverletzte heißt es für die Jerusalemer wie auch für uns: zurückkehren an vertraute Stelle in diesem religiösen Schmelztiegel, durchatmen. Die Frage bleibt aber, wie lange der vertraute Alltag wieder weiter geht und wie viel sich von ihm für ein paar stille Stunden eintauschen lassen?

Wir kommen noch nicht zur Ruhe und verbringen das letzte Drittel unserer Studienfahrt in Bethlehem. Natürlich müssen wir dafür erneut einen Grenzposten zwischen Israel und Palästina passieren, eine Sisyphusaufgabe, die unsere Zeit langsam und reichlich vergehen lässt und die sich die israelischen Behörden bereits bei der Einreise am Flughafen gönnen. Bethlehem ist für zahlreiche Pilger vor allem wegen der biblischen Bedeutung interessant, die mehrheitlich muslimische Kleinstadt punktet jedoch ebenso mit einer Universität. Wir bekommen eine Führung über den zentralen Campus und die einzelnen Institute sowie die grandiose Aussicht über die Ebene gezeigt. Auf einer Anhöhe gelegen, kann man von hier aus bis zum jordanischen Gebirge sehen.

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Zwei Studierende begleiten uns und machen uns klar, dass ihre Vorhaben für die Zukunft sehr konkret sind - sogar hier an diesen Ort, für diese jungen Leute stellt sich jedoch eine sehr reale Begrenzung ihrer Pläne in den Weg, nämlich dort, wo die Mauer steht. Auch unser Blick bleibt bei der Aussicht spätestens dort hängen. Schwer zu übersehen, symbolisiert die bis zu zehn Meter hohe Wand die sozialen Verwerfungen und gefühlten Unüberwindbarkeiten, auf die wir während unserer Reise immer wieder stoßen. Man erklärt uns, dass auch deswegen viele Absolventen der Uni auf "ihrer Seite" bleiben wollen, die meisten mit einer angestrebten Ausbildung als Arzt oder in den Bereichen der Naturwissenschaft.

Sie wollen einfach bleiben in Palästina, nicht zuletzt, um ein modernes, gebildetes Weltbild von Palästina zu vermitteln. Und sie bleiben, um diese beklemmende Symbolik für uns in konkrete Geschichten ihres Alltags zu übersetzen, und um ihrer Heimat gute Pläne für die Zukunft zu geben. So wie viele andere Einheimische auch bleiben sie, damit sie Gastgeber sein können für die reichen Kulturschätze und Kirchenbauten, mit denen wir uns noch eine ganze Weile länger als zwei Wochen beschäftigen könnten. Manche bleiben schließlich am Boden der Tatsachen - und darin können wir sogar unsere Gebrauchsanweisung ausmachen: Vielleicht führt sie zum Lebensgefühl der Menschen dort. Wir wollen sie am Ende unserer Studienfahrt mit nach Hause nehmen und einfach weitererzählen.

Sebastian Hieke

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Bilder (c) Ulrike Müller, Andreas Kaplony