Institut für den Nahen und Mittleren Osten
print


Navigationspfad


Inhaltsbereich

Studienreise nach Israel 2019

Von Antike bis Wüstenhitze: Die Münchner Judaistik unterwegs in Israel

11.09.2019 – 19.09.2019

Von Mittwoch, dem 11. September, bis Donnerstag, den 19. September 2019, begaben sich Ronny Vollandt, Yossi Brill und Shoshana Liessmann mit sieben Studierenden auf Exkursion nach Israel, um sich vor Ort mit dem nahöstlichen Judentum zu beschäftigen.

Das zeitige Aufstehen am ersten Tag nach der Anreise lohnte sich zweifellos, doch verblasste der frühmorgendliche, bei noch barmherziger Sonne angenehme Spaziergang zum Tempelberg – oder: har ha-beit bzw. al-ḥaram aš-šarīf – angesichts der Führung, die Angelika Neuwirth dort mit uns unternahm. Man hat nicht immer das Glück einer ebenso renommierten wie ortskundigen Führung und so ließen wir uns bereitwillig von Neuwirths feinsinniger Lektüre des Areals und der interkulturellen Dialoge im Verlauf seiner Geschichte fordern. Von der vormittäglichen Sonneneinstrahlung auf dem Tempelberg ging es in die kühle Enge während der Tunneltour, bei der sich ein längerer Blick auf eine aktuelle Ausgrabung bot. Näher konnte man der Vergangenheit und den Überresten des Tempels nicht kommen, wie uns das Grabungsteam bestätigte. Wieder bei Tageslicht konnte, wer wollte, sich die Klagemauer (ha-Kotel ha-maʿaravi) von Nahem besehen, ehe es, nach einer ortstypischen Stärkung, zur Grabeskirche ging. Von den Christen auf dem Weg zu den Überresten der Stadtmauer aus der Zeit des ersten Tempels wandelten wir auf einer römischen Prägung Jerusalems, dem Cardo, und gelangten nach einem Abstecher bei der Zitadelle Davids zu Kaffee und Süßwaren (köstlichem Knafe), bevor wir den Tag und seine reichen Eindrücke im österreichischen Hospiz ausklingen ließen.

 

Israelexkursion_Tempelberg

Abb. 1: Angelika Neuwirth und die Münchner Judaistik am Mittelpunkt der Welt (einem der vielen)


Der zweite Tag der Exkursion, ein Freitag, stand im Zeichen Tel Avivs, des Anti-Jerusalems. Mögen manche behaupten, Jerusalem böte zu viel Geschichte für eine einzige Stadt, von Tel Aviv könnten sie es gewiss nicht sagen. Sieht man von der alten Hafenstadt Jaffa ab, heute mit der ersten modernen hebräischen Stadt verwachsen, fällt die Geschichte des Ortes mit ca. hundert Jahren relativ knapp aus – was allerdings nicht bedeutete, dass es nichts zu sagen gäbe, im Gegenteil: Die Bauhaus-Tour durch die sogenannte Weiße Stadt, Gebäuden im Bauhaus- bzw. Internationalen Stil und seit Anfang des Jahrtausend UNESCO-Welterbe, zeigte, wie sich Moderne unter dem Druck von Verfolgung – viele Architekten stammten ursprünglich aus Deutschland, aus dem sie zu fliehen gezwungen waren – an einem neuen Zuhause unter Anpassung an die lokalen klimatischen Bedingungen materialisierte.
Nach der knapp zweistündigen Führung und einem Mittagessen nahe des Dizengoff Platzes lockte der Strand, da in der Mittagshitze und der hohen Luftfeuchtigkeit Erholung Not tat. Gegen Abend, um den Beginn des Šabbat, mussten wir uns von einem Sammeltaxi nach Jerusalem zurück befördern lassen; Busse wie Züge fuhren nicht mehr und nahmen ihren Betrieb erst tags darauf, nach Einbruch der Nacht, wieder auf.

Zu Šabbat ist man gut beraten, sich Aktivitäten in einem zu Fuß gut zu bewältigenden Umkreis zu suchen, da der öffentliche Nahverkehr vollständig ruht. So kam es, dass uns ein kurzer Gang zum Israel-Museum führte, wo wir eine knapp vierstündige Führung erhielten, unterbrochen allein von den Referaten von studentischer Seite zu verschiedenen Artefakten. Nach einer kurzen Sonnenpause trafen wir uns mit Miriam Goldstein von der Abteilung für Arabische Sprache und Literatur an der Hebräischen Universität und einigen ihrer Studenten zum interkulturellen Austausch-Picknick.

Für den darauffolgenden Tag hatten wir uns einen Kleinbus gemietet, der uns in die Judäische Wüste brachte. Unseren ersten Halt legten wir in Qumran ein, wo wir, unter der unaufhörlichen Einstrahlung der Wüstensonne, die Ausgrabungsstätte besichtigten und sogar eine kleine Gruppe von uns einen Abstecher zu einer der Höhlen, in denen man einst die berühmten Schriftrollen gefunden hatte, wagte.
In einer Raststätte mit dem Namen ha-čans ha-aḫaron (die letzte Chance), ein sehr bezeichnender Name angesichts ihrer geradezu einsamen Lage an der Wüste, aßen wir zu Mittag, bevor wir uns auf den Weg nach Masada (Miṣada) machten. Wir fuhren noch auf der Straße am Ufer des Toten Meeres entlang, als wir schon von Weitem die imposanten Überreste der Festung erblickten – diese erhob sich stolz auf einem der Berge, die Straße dagegen befand sich am Rande des am tiefsten gelegenen Sees der Erde. Die Ausstellung des Museums verschaffte uns einen kurzen Überblick über die Bedeutung Masadas, die Seilbahn ersparte uns das Los, den Aufstieg zu Fuß und der prallen Nachmittagssonne preisgegeben bewältigen zu müssen. Ursprünglich von Herodes dem Großen erbaut, diente Masada den Widerstandskämpfern im Jüdischen Krieg gegen die Römer, im Zuge dessen der zweiten Tempel in Jerusalem im Jahr 70 n. Chr. zerstört wurde, als Zufluchtsstätte, erst Masadas Fall vier Jahre später markierte das Ende des Krieges. Um lebenslanger Knechtschaft in der Hand der Römer zu entgehen, sollen sich, so erzählt es zumindest Flavius Josephus, hier, als die Lage ausweglos war, die Rebellen zu einem Massenselbstmord entschlossen haben. Ob das den Tatsachen entspricht, sei einmal dahingestellt – beeindruckend sind der Blick von der Festung und die Überreste der römischen Belagerung, darunter die aufgeschüttete Rampe, allemal.

Israelexkursion_Massada

Abb. 2: Massada


Zu Fuß erreichten wir am Morgen des nächsten Tages, den wir nach unserem Ausflug in die Wüste gänzlich in Jerusalem verbrachten, das Ben Zvi-Institut, älter als der Staat Israel und der Erforschung der orientalischen Juden verschrieben. Bei Kaffee und Gebäck wurde uns von Haim Saddoun die Geschichte und Arbeit des Instituts sowie seine wichtigsten bzw. aktuellen Publikationen vorgestellt. Im Anschluss daran gewährte uns die Bibliothek einen Einblick in ihren kostbaren Manuskriptbestand.
Mit Manuskripten ging es fast nahtlos, nach einer Mittagspause am zweiten Campus (Givʿat Ram) der hebräischen Universität, als uns Ezra Chawar in der dort untergebrachten Nationalbibliothek von der Arbeit mit Handschriften und ihrer Digitalisierung erzählte. Nicht minder beeindruckend war die Vorstellung des zur Bibliothek gehörenden nationalen Sound-Archiv, welches musikalische Aufnahmen der verschiedenen jüdischen Gemeinschaften sammelt und öffentlich zugänglich macht. Ein wahrhafter Höhepunkt, wenngleich ungeplant, war der Besuch des Studios während einer Aufnahme, sodass wir nicht nur eine Vorstellung des fertigen Archivs bekamen.

Der letzte Tag mit offiziellem Programm fiel mit dem Wahltag zusammen, davon allerdings unbeeindruckt setzten wir unsere Exkursion in Begleitung Meron Piotrkowskis, welcher uns schon zielsicher durch die finsteren Tunnel am Tempelberg geführt hatte, in den Norden des Landes fort. Halt machten wir auf unserem Weg nach Galiläa in Beyt Alpha, wo wir uns das berühmte Mosaik der Synagoge aus dem 6. Jahrhundert ansahen. Die Tierkreiszeichen sowie der Sonnengott Helios in der Mitte des Motivs, umgeben von biblischen (Opferung Isaaks) und jüdischen (beispielsweise Menorah) Motiven, zeigen, dass die historischen Zeugnisse manchmal eine andere Sprache sprechen als die normative Literatur der Gelehrten. Nachdem wir uns im Kibbuz ʿAmiʿad gestärkt hatten, besuchten wir das Dorf Migdal, einstmals eine große bedeutende Hafenstadt. Vor etwa zehn Jahren entdeckte man hier eine Synagoge aus dem ersten Jahrhundert und mit ihr Überreste der antiken, hier ansässigen Gemeinschaft. Der Rückweg bot nur eine flüchtige Gelegenheit, das Grab von Maimonides zu erspähen, ausgiebiger aber fügte es sich, im Wasser des Sees Genezareth zu baden.

Der letzte vollständige Tag stand zur freien Verfügung, auf eigene Faust Jerusalem und Umgebung zu erkunden, sich von Naschwerk und Gewürzen des Maḫane Yehuda verführen zu lassen – oder sich, wie ein Teil von uns, mutig mit öffentlichen Bussen nach Ein Gedi, für ein Bad im Toten Meer zu wagen. Dass die Anreise verdächtig reibungslos verlief, vergalt der Bus für die Rückreise, indem er eine Stunde auf sich warten ließ, eine Zeitspanne, die zu verbringen sich auch an einer schattigen Bushaltestelle nicht sonderlich angenehm gestaltete.

Unser Abschiedsessen nahmen wir gemeinsam in einem äthiopischen Restaurant ein, wer wollte, gesellte sich noch auf das ein oder andere Bier ins Sira, bevor man aufbrach, sich den lästigen Dingen einer Reise zuzuwenden: das bereits mitgebrachte oder neuerworbene Hab und Gut in das Reisegepäck zurückzudrängen, ehe am späten Nachmittag des 19. Septembers das Flugzeug gen München abhob.
Ohne die vortreffliche Organisation wie die fachkundige Begleitung der Exkursion von Ronny Vollandt, Shoshana Liessmann und Yossi Brill wären die neun Tage weder so reibungslos noch so spannend verlaufen, wie sie es für uns waren. Dafür gilt ihnen unser ausdrücklicher Dank!

Simon Haffner