Institut für den Nahen und Mittleren Osten
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Studienreise in den Iran 2018

Mashhad - Torbat-e Jām - Gonabad - Tabas - Nishapur - Mashhad

19.10.2018 – 28.10.2018

organisiert von Dr. Heidi Walcher

Nach unserer Vorbereitung im Seminar „Gott, König, Tod und Teufel in der Geschichte Irans“ brachen wir, nachdem wir lange unsicher waren ob die Reise wegen der internationalen politischen Situation überhaupt möglich sein würde, Mitte Oktober als akademische Gruppe zur Studienexkursion in den Nordosten des Irans auf. Obgleich der Anteil an Student*Innen der Iranistik überwog, hatten einige der Gruppe auch Studienerfahrung in der Islamwissenschaft-Arabistik, Archäologie und Agrarwissenschaft; sie alle brachten unterschiedliche Fragen und Interessen mit. Mitten in der Nacht, verspätet und müde wurden wir herzlich und voller Lebensfreude von unserem Reisebegleiter empfangen. Gleichzeitig stand bereits der Zielflughafen in Maschhad durchaus im Zeichen unseres Seminars: bekannt als "Shahid Hasheminejad International Airport“ verweist er auf die Ideologie der Islamischen Republik und die Biographie des schi’itischen Theologen und Aktivisten Seyyed Abdulkarīm Hāshemīnežad (1932-1981), der zwischen 1963 - 78 fünf Mal in Haft war. Der Sturz des Pahlaviregimes 1979 bedeutete seine Freilassung und seine dann ausschlaggebende Agitation als Führer der Revolution in Maschhad. 1981 wurde er bei einem Bombenanschlag im Büro der islamischen republikanischen Partei getötet und daraufhin als Märtyrer (šahīd) am Schrein des Imām Reża in Maschhad beigesetzt. Anlass also zu Überlegungen zu Benennungspolitik von Flughäfen, Märtyrerkult, Tod und Grabkultur.juli singer iran 1

Der Schrein des achten schi’itischen Imāms (ʿAlī ibn Musā, al-Reżā, ca. 765/770 - 818), welcher das Zentrum von Maschhad bildet, war erster Schwerpunkt und zentraler Besichtigungs- und Ausgangspunkt dieser Exkursion. Drei Nächte verbrachten wir in unmittelbarer Nähe des Imām-Reża -Schreins, in einem Hotel der Märtyrerstiftung, welches sonst vor allem Familien von Märtyrern aus dem Iran-Irak-Krieg vorbehalten ist. Der Schrein ist als eines der wichtigsten schi‘itischen Heiligtümer jährliches Ziel von Millionen von Pilgern. Reża , welcher (angeblich) durch den abbasidischen Kalifen al-Maʾmūn (813-833) getötet wurde, prägt den Namen der Stadt Maschhad (Ort des Märtyrers).

Neben der bis heute wirkenden religiösen Bedeutung der Stadt, erreichte Maschhad nach der Zerstörung von Tūs größere politische und religiöse Relevanz: Schah Abbas I. propagierte ihre Rolle als wichtigster schi’itischer Pilgerort im safawidischen Iran (als Konkurrenz zum damals meist osmanisch kontrollierten Karbalā und Nadschaf im Irak). Unter Nader Schah (Gründer der Dynastie der Afschariden) war sie Hauptstadt des afscharidischen Imperiums. Nader Schahs Grab wurde 1959 vom Architekten Houchang Seyhoun ein modernes Denkmal gesetzt und kann heute nebst einem kleinen Museum plus Buchladen besichtigt werden.
Ein Treffen mit Professoren, Studenten und Administratoren der Ferdowsī Universität in Maschhad war, neben der Führung durch die Bibliothek Ostān Qods Rażawī, das wichtigste akademische Treffen.

Mit der Fahrt nach Torbat-e Jām entfernten wir uns kurz vom schi‘itisch geprägten Iran, da in dieser Stadt mehrheitlich Sunniten leben—zum Teil demonstrativ von den Männern durch ihre Kleidung nach außen getragen. Besonderen Eindruck machte auf alle das Grab des Sufis Schaykh Ahmad-e Jām (1048 -1141) und des sich daran angeschlossenen Gebäudekomplexes mit Wasserreservoir sowie der wunderschönen und sehr imposanten Moschee, durch die wir
eine sehr persönliche und ausführliche Führung des momentanen Schaykhs und Verwalters erhielten, dessen Familie seit Generationen den Schrein führt und für dessen Erhaltung verantwortlich ist.

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Zu den absoluten Höhepunkten unseres Besuches in Torbat-e Jām zählte der für uns arrangierte
Auftritt einer Gruppe persischer Musiker. Auf klassischen Instrumenten, teilweise rein instrumental, teilweise mit
gesanglicher Begleitung, gaben sie ein hinreißendes Privatkonzert. Wir erfuhren im Laufe des Abends nicht nur die Namen, Bedeutung und Verbreitung der einzelnen Instrumente, sondern auch, welch schweren
Stand Musiker im Iran gegenwärtig haben. Gesang von Frauen ist öffentlich nicht erlaubt, Gesang von Mädchen unterliegt vehementer Kritik, trotz der Tatsache, dass traditionell Frauen ebenfalls musizierten und sangen. Nichtsdestotrotz postete das Mädchen stolz und beseelt ihren Auftritt auf Instagram.

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Früh am nächsten Tag brachen wir auf in Richtung Tāyebād und Gonābād. Auf dem Weg war der erste Halt das seldschukische Minarett von Kabāt; danach gab es eine ausführliche Besichtigung der alten Windmühlenanlage von Naschtīfān, deren Rotationsachse senkrecht verläuft. Angaben zur Erbauungszeit variierten von seldschukisch bis safawidisch. Obgleich die Herkunftsgeschichte der Windmühle nicht als gesichert gilt, stand natürlich außer Frage, so die Erläuterungen, dass diese aus Persien stammen müsse - wie auch alle weiteren großartigen Erfindungen!
Das Thema des Teufels äußerte sich dann, wie so oft, eher im Detail: Da wir im nicht- ausgeschilderten Kreisverkehr die falsche Abzweigung nahmen, wobei Google zwar stet die geballten Metadaten von mindestens 12 Telefonen verwertete, die richtige Strecke aber auch nicht angeben konnte, ließen wir umständlich ein Zwischenziel aus, erreichten aber dafür Gonābād eher als geplant. So blieb Zeit, das örtliche Museum, vormals eine Madrasseh mit Schwerpunkt Astronomie zu durchforschen und tags darauf die Moschee als auch das historische Wasserversorgungs- und Brunnensystem zu betrachten.


Wir hatten außerdem Gelegenheit, den Schauplatz der berühmten zwölf Kämpfe (Davāzdah Rokh) zu besichtigen—bei Sonnenuntergang nicht ohne dramatische Licht-und Schattenspiele, empfangen von Anwohnern, Vertretern der Geistlichkeit, Esfandrauch und Gedichtrezitation. Die literarische Grundlage dieses Ortes bildet eine der längeren Geschichten des Schahnamehs des persischen Dichters Ferdowsī (ca. 940-1020): An der Grenze zwischen
Iran und Turan kam es zu einer großen Schlacht, die keinen Sieger finden konnte, sodass schlussendlich die besten zwölf Männer auf jeder Seite ausgewählt, gegeneinander antreten sollten - natürlich kaum überraschend wurden alle zwölf Kämpfe von der iranischen Seite gewonnen.

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In der naheliegenden Moschee erhielten wir hausgebackenes Brot und Joghurt, bekamen das System einer traditionellen Wasseruhr vorgeführt und wurden über die überdurchschnittliche Loyalität der Anwohner zum Revolutionären Regime informiert - viele Söhne des Ortes sind im Iran-Irak-Krieg gefallen und als Märtyrer verehrt beigesetzt. Wir hatten außerdem Gelegenheit, ausführlich mit Geistlichen und einer örtlichen Lehrerin/Politikerin zu sprechen, die bereitwillig und geduldig unsere Fragen beantworteten.


Am Morgen, vor der Fahrt nach Tabas, erkundeten wir ausführlich das alte Qanāt-System (im Persischen als Kārīz bezeichnet und seit 2016 UNESCO Kulturerbe), das teilweise noch immer zur Frischwasserversorgung Gonābāds und der Bewässerung der umliegenden Felder dient. Es war sogar möglich in einen der Schächte hinabzusteigen, dessen System sich weit verzweigt von den Bergen bis in die Stadt zieht.

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Die Fahrt nach Tabas, wie Ferdows vom Erdbeben in 1978 weitgehend zerstört und seitdem neu aufgebaut, 550km südwestlich von Maschhad, zählte zu den längsten Abschnitten unserer Reise. Da es unterwegs Abstecher zu vielen spannenden kleinen Orten mit Lehmbauten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert, oder ausgetrockneten heiligen Bäumen gab, erreichten wir die Stadt erst bei Anbruch der Dunkelheit. Viel tiefer und am Rand der Wüste (Dascht Lūt) gelegen, wurden wir von einem lauen Abendhauch und Palmen empfangen. Es gelang uns am Abend noch den dortigen Schrein zu besuchen und durch den 300 Jahre alten Garten (Bāgh-e Golschan) zu wandeln, der für seine schön angelegten Wasserbecken und die üppige Bepflanzung berühmt ist, wo wir ausführlich über Fragen der Etymologie von Paradies (Ferdows), Behescht, sowie der Funktion und Symbolik von Gärten im iranischen Kontext sprachen.

Die Strecke zurück nach Maschhad via Neyschabur zwang uns zum großen Bedauern der Begleiter einen aufwendig juli singer iran 11vorbereiteten Treffpunkt auszulassen. Auch auf diesem langen Weg gab es mehr zu besichtigen als tatsächlich umsetzbar. Am bedeutendsten davon, nahe der Stadt Bardaskān, erhielten wir Zugang zu zwei der wichtigsten historisch-architektonischen Sehenswürdigkeiten: des Minaretts von Firuzābād aus der seldschukischen Zeit, welches durch seine zylindrische Form und seine dekorativen Ziegelelemente hervorstach, und dem ‘Alīābād-Turm aus der ilkhanidischen Zeit, der kegelförmig errichtet wurde. Die Form des Letzteren erinnert an die zoroastrischen Dakhmeh (auch Türme des Schweigens genannt), welche zur Himmelsbestattung dienten.

Die letzten anderthalb Tagen in Neyschabur und Maschhad standen dann auch im Zeichen einiger Einkaufsversuche sowie dem ausführlichen Betrachten von Türkisen aus den nahegelegenen und langbestehenden Minen, Gebetsteppichen, Altwaren, Musikinstrumenten und Souvenieren; erstanden wurden vor allem persische Bücher, CDs, kleine Keramikwaren, Granatäpfel, Trockenfrüchte oder auch Kupferbecher.

Als akademische vielmehr denn als reine touristische Tour, kamen aber auch in Neyschabur Geschichte und Kultur nicht zu kurz. Anhand einer groß angelegten archäologischen Ausgrabung ließ sich das Schicksal der Stadt gut nachvollziehen--im 13. Jahrhundert wurde sie durch die Mongolen erobert. Heute ist sie vor allem sehr wohlhabender Satellit von Maschhad. Das Grabmal des Universalgelehrten ‘Omar Khayyām (1048-1131) befindet sich in direkter Nähe

der Ausgrabung; in seiner architektonischen Form (ebenfalls entworfen von H. Seyhoun) verweist es auf dessen mathematische Leistungen, als auch auf seine literarischen Vierzeiler (rubāʿī) für die er weit über den Iran hinaus Berühmtheit erlangte. Das unweit gelegene Mausoleum Farīd al-Dīn ʿAṭṭār gab Gelegenheit über dessen Werk und Mystik zu sprechen. Mit Koffern voll bepackt mit Büchern, Mengen der schon genannten trockenen und frischen Früchte, anderen Mitbringseln sowie vielen neuen und bewegenden Eindrücken und Erfahrungen, verließen wir nach neun Tagen den Iran. Als eher wenig besuchtes touristisches Ziel bot uns die Provinz Rażawī Khorāsān und deren extrem großherzige Menschen eine außergewöhnliche Gelegenheit, den Iran von einer ganz anderen, sehr spannenden Seite kennen zu lernen. Wir sagen خداحافظ ... und hoffentlich bis bald!

Juli Singer & Heidi Walcher

 

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