Institut für den Nahen und Mittleren Osten
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Der Regen

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Für uns war es keine große Überraschung, dass alle Geschäfte um 11:00 Uhr wegen des Gebets nicht geschlossen hatten. Allerdings sahen wir kurz nach 11:00 Uhr ein Gewitter auf uns zukommen. Da wir wussten, dass es in der Nähe starke Regenfälle gab, hatte sich die Gruppe noch Zeit genommen, um ein anderes Geschäft zu besuchen. Es bestand offensichtlich kein akuter Handlungsbedarf, nachdem man den Regen bereits im nächsten Dorf gesehen hatte. Die Gelassenheit unserer sahrauischen Familienmitglieder steht im krassen Gegensatz zu meiner instinktiven Reaktion auf das drohende Gewitter. In Gedanken gehe ich meine Sorgen durch: „Haben wir überhaupt ein Auto für die Rückfahrt?“ „Schaffen wir es noch rechtzeitig vor dem Gewitter nach Hause?“ „Oh nein, wir sind zu viele, wir passen nicht alle in ein Auto“ „Es ist höchste Zeit, dass wir jetzt anfangen, zumindest die Rückfahrt zu planen, schließlich ist es eine große logistische Herausforderung mit so vielen von uns“ ...
Ich zog Marie heimlich zur Seite und zeigte ihr den Regenhimmel, der auf uns zukam. Marie antwortete: Das werden sie schon wissen. Dieser Satz löste in mir eine therapeutische Wirkung aus. Der aufsteigende Stress in mir legte sich und mein Bewusstsein veränderte sich schlagartig. Von nun an erlebe ich einen anhaltenden Zustand der Bewunderung. Wie ein Schwarm sauge ich alle (vor allem nonverbalen) Eindrücke auf, die um mich herum geschehen.
In den letzten Läden gab es einen Zwischenfall. Hassina hat sich nämlich einen Teller als Geschenk gewünscht. Daraufhin haben Cord und Leo Hassina den Teller gekauft. Sie waren aber nicht ganz zufrieden damit, weil das Geschenk nicht von Cord und Leo selbst kam, sondern Hassina sich das gewünscht hat. Der Ablauf entsprach also nicht den europäischen Gepflogenheiten. Diskussionen und Zwischenfälle rund um Geschenke sind kein Einzelfall und gehören zu den kleinen Kulturschocks, die europäische Studierende gelegentlich erleben.
Endlich ging es los. Mühsam kämpfte sich die Gruppe gegen den immer stärker werdenden Wind die große Asphalt entlang. Die dunklen Regenwolken hingen immer tiefer und nahmen die Farbe der Sahara an. Der Himmel sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.

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Die Autos, die an uns vorbeifuhren, machten keine Anstalten, uns mitzunehmen. Wir gingen die Straße entlang in Richtung unseres Dorfes. Nach Hause zu laufen war keine Option, da der Weg zu weit war.


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